Zwei Gleichgesinnte |
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Wie der Zufall so spielt. 1988 trafen sich in der Unterzent zwei Läufer, beide im fortgeschrittenen Alter von Ende 60, zwei Gleichgesinnte. Günther Schloemp ist der ältere, er wurde am 5. März 1921 in Berlin geboren und wohnt seit 1988 im Elternhaus seiner Frau in Neustadt. „Das Haus ist alt und rustikal – wie er selbst“, scherzt Wilhelm Reeg, geborener Rai-Breitenbacher und jünger: Er kam am 7. März 1921 zur Welt und lebt seit 1935 in Höchst. Beide haben dem Laufsport viel zu verdanken, vielleicht sogar ihr Leben. Günther Schloemp führt es auf seine ausgezeichnete Konstitution nach vielen Jahren Lauf- und Schwimmsport zurück, dass er im Zweiten Weltkrieg als Soldat den harten russischen Winter überlebt hat. Reeg hatte vor 21 Jahre eine schwere Operation gut und schnell überstanden, weil er austrainiert war. Und ist es mit achtzig immer noch. Er berichtet von einer Mountainbike-Tour, die er kürzlich an einem Sonntag gemacht hat. Viele Orte im Odenwald sind es nicht, die er bei seiner umfangreichen Beschreibung des Streckenverlaufs auslässt. Vierundneunzig Kilometer zeigte der Tachometer an, als er wieder in Höchst war. Wilhelm Reeg ist seit frühester Jugend Sportler, hat schon als Jugendlicher beim TSV Neustadt trainiert und Laufwettbewerbe bestritten, spielte auch Fußball. Bei seinem Alterskameraden gab es einige Lücken in der sportlichen Betätigung. Nachdem er jedoch als 58-jähriger arbeitslos geworden war, konzentrierte er sich wieder stärker auf das Laufen: „Ich hab’ gedacht, ich kann doch jetzt nicht die ganze Zeit zu Hause sein.“ Die beiden fitten Senioren sind auch die besten Beispiele für den Erfolg der Lauftreff-Bewegung. Schloemp ist beim Breuberger Lauftreff zwei- bis dreimal die Woche dabei. „Wenn sie in der Gruppe laufen, sind sie nicht der alte Trottel, sondern einer von ihnen. Für mich ist es mit das schönste, mit den jungen Leuten zusammen- zusein.“ Als er 1988 in den Odenwald kam, nahm er im Lauftreff die zwölf Kilometer lange Strecke in Angriff. Mittlerweile sind es – dreimal wöchentlich – „nur“ noch 8,5. „Ich mach das jetzt rückwärts. Irgendwann bin ich bei den Spaziergängern angekommen“, schmunzelt der 80-Jährige. Beim Lauftreff ist für jeden etwas dabei, flotte Läufer kommen genauso auf ihre Kosten wie die Jogger, die Walker und die so genannten Spaziergänger, die zwischendurch kurze Abschnitte laufen. Bei Wilhelm Reeg ist der Wettkampf-Gedanke eine Spur stärker ausgeprägt. Vor zehn Jahren stellte er beim Jügesheimer Winterlauf in der Altersklasse M70 mit rund 42 Minuten eine Streckenrekordzeit auf, die noch immer Bestand hat. „Vielleicht probier ich es noch mal in der M80“, sinniert er. Andererseits: „Da versuchst du an einem Tag noch mal eine besondere Zeit zu laufen und machst dich kaputt dabei.“ In den achtziger Jahren nahm er an deutschen Meisterschaften im 25-Kilometer-Straßenlauf und an der Cross-DM teil. Seine große Passion ist das Bergsteigen, beim Laufen holt er sich die Kondition dafür. „Ich muss Ausdauersport betreiben, um am Berg noch die Leistung zu zeigen.“ Er hat in den Alpen schon verschiedene Viertausender bestiegen. Außerdem fährt er jedes Jahr in die Berge zum Skilanglauf. Den Odenwald kennt Wilhelm Reeg wie seine Westentasche: „Im Umkreis von zwanzig Kilometer wird es kaum einen Waldweg geben, den ich nicht schon gelaufen bin.“ Alle zwei Jahre lässt sich der Höchster durchchecken und ein Belastungs-EKG machen. Sein Arzt – so Reeg – wäre froh, wenn er seine Werte hätte. Nicht anders die Ergebnisse bei Schloemp. Mit siebzig hatte er beispielsweise ein um 75 Prozent größeres Lungenvolumen als sein Altersdurchschnitt. Interessanterweise sind die beiden Odenwälder noch nie mit Pulsuhren gelaufen, wie sie heutzutage viele Ausdauersportler tragen. Schloemp: „Ich nehm auch keine Uhr mit, wenn ich allein laufe. Da setz ich mich nur selbst unter Druck. Ich merk ja, wenn es zu viel wird.“ Der als Fitness-Guru bekannt gewordene Dr. med. Ulrich Strunz schreibt: „Unser Kästchen voll Kokain bleibt oft ein Leben lang zu – es sei denn, wir laufen.“ Man müsse den Körper nur etwas länger als dreißig Minuten mit Sauerstoff ölen, dann gehe das Kästchen auf. Günther Schloemp und Wilhelm Reeg stehen dafür. Von der Grundeinstellung sind sie absolut positiv gestimmt. „Das Laufen hat mich jung gehalten oder jung gemacht“, sagt Günther Schloemp. Dennoch: Der Alterungsprozess kann natürlich nur verlangsamt werden. Dem Neustädter ist aufgefallen, dass beim Laufen über Stock und Stein die Reflexe nicht mehr so da sind, sich die Sturzgefahr erhöht hat. Und auch Wilhelm Reeg zieht es mittlerweile vor, beim Lauftreff nicht mehr in der Gruppe zu laufen, sondern allein in seinem Rhythmus. Von der Ziellinie sind beide aber noch weit entfernt. „Ich finde die Gemeinschaft der Läufer einfach herrlich, habe noch nie eine Rentnerfahrt mitgemacht“, sagt der Wahl-Odenwälder mit Berliner Zungenschlag. Auch Reeg legt Wert auf die Feststellung, dass er noch nie an einem Altennachmittag der Gemeinde teilgenommen hat. In zehn Jahren treffen wir uns wieder, versprach ich zum Abschied. „Ich leg Sie darauf fest“, kommt es wie aus der Pistole geschossen von Günther Schloemp, der richtig alt werden will: „Bin ja mit 58 arbeitslos geworden. Das war ein schwerer Schlag, denn ich fühlte mich ja noch fit. Da hab ich mir geschworen: Sollen sie bis 100 meine Rente bezahlen, das ist meine Rache.“
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Lutz Heider 19.4.2001 |
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